Die Forderung nach Gleichberechtigung von Mann und Frau wird in Frankreich immer lauter, auch bei jungen Menschen. Das Problem ist, dass bestehende Gesetze in der Realität nicht umgesetzt werden.
Ein altes gelbes Sofa und ein Stuhlkreis stehen neben dem kleinen Wohnwagen direkt an der Metrohaltestelle Belleville in Paris. Der Innenraum des Wohnwagens erinnert an ein altmodisches Wohnzimmer. Passanten stehen um einen Tisch, auf dem bunte Flyer ausliegen. Die Botschaft lautet: „Gleichheit – Rechte für alle!“
Der Wohnwagen gehört dem Verein „Dans le Genre Égales“, der sich für die Gleichstellung von Frauen und Männern einsetzt. Schon seit zehn Jahren fahren die Mitglieder mit dem Wohnwagen an verschiedene Orte in Paris, um auf die Gleichstellung aufmerksam zu machen. Und Aufmerksamkeit bekommen sie auch hier, am Metro-Ausgang. Einige Passanten bleiben stehen und fragen genauer nach dem Projekt. Andere bleiben auf einen Kaffee und diskutieren mit den Mitgliedern vor Ort.
An dem Gitter hinter dem Wohnwagen hängen große Schwarz-Weiß-Bilder. Sie wurden an den bisherigen Standorten aufgenommen. Sie zeigen die Mitglieder des Vereins im Gespräch mit Fußgängern oder auf dem Sofa sitzend. Auch Anne ist auf den Fotos zu sehen. Sie ist Psychologin und engagiert sich im Verein.
Die junge Frau setzt sich schon lange für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern ein. Besonders die Bekämpfung sexueller Gewalt ist ihr wichtig. Aber auch die gleiche Behandlung im Job, wie zum Beispiel bei der Bezahlung, spielt für sie eine wichtige Rolle. Das Gesetz in Frankreich verspricht zwar: „Gleiche Arbeit, gleicher Lohn“. Aber im Jahr 2014 verdienten die Frauen in Frankreich 24 Prozent weniger als die Männer. Anne stellt fest: „Wir haben viele Gesetze, aber sie müssen auch umgesetzt werden.“
Marie-Pierre Rixain beobachtet täglich den Sexismus. Die Politikerin von „En Marche“ führt in der Assemblée Nationale den Ausschuss für Frauenrechte und Chancengleichheit, der letztes Jahr gegründet wurde.
Auch sie ist der Meinung, die Gesetze müssen umgesetzt und stärker kontrolliert werden. Bisher kämen viele Firmen noch straffrei davon, wenn sie Frauen benachteiligen. „Die Unternehmen müssen begreifen, dass es für sie ein Nachteil ist, wenn sie Frauen schlechter bezahlen“, sagt Marie-Pierre Rixain. Ihre Priorität liege bei der finanziellen Unabhängigkeit der Frau. Dann sei sie auch selbstbestimmt. Wenn etwa eine Frau von ihrem Mann misshandelt wird, falle ihr die Trennung leichter, wenn sie von ihm nicht finanziell abhängig ist. Die Abgeordnete betont aber, dass ihr Engagement noch weiter reicht: „Weil alle Themen miteinander zusammenhängen, arbeiten wir für alle Frauen an allen Fronten“.
Der Abgeordnete Stéphane Viry sitzt für die Partei „Les Républicains“ im selben Ausschuss. Für viele Menschen seien Wirtschaft oder Arbeitslosigkeit wichtigere Themen als Sexismus, kritisiert er. Dabei sei die Gleichstellung „eine essentielle Frage für die Gesellschaft“. Er würde sich zum Beispiel wünschen, dass mehr Frauen als Mathematikerin, Physikerin und Astronomin arbeiten. Aber auch in anderen Bereichen gebe es viel zu tun. Die aktuelle #MeToo-Debatte begrüßt er, denn eine öffentliche Debatte könne viel bewirken. „Aber wir brauchen nicht nur Worte, sondern auch Taten.“
Mitte Mai haben die Abgeordneten der Assemblée Nationale ein neues Gesetz gegen sexuelle Gewalt angenommen. Nun berät der Senat darüber, bevor das Gesetz in Kraft tritt. Für Marie-Pierre Rixain ist das ein großer Erfolg. Ein halbes Jahr habe sie dafür gekämpft. Bei einer Vergewaltigung mussten Frauen bisher außer der Penetration auch noch Gewaltanwendung, Bedrohung oder Heimtücke des Täters nachweisen. Mit dem Gesetz soll es künftig leichter sein, Vergewaltiger zu verurteilen.
L’art.2 de la #LoiSchiappa va permettre :
✔d’établir la contrainte en raison de l’absence de discernement des enfants de – de 15 ans
✔d’étendre les cas dans lesquels un viol pourra être constaté
✔de criminaliser encore plus le viol #LeViolEstUnCrime https://t.co/rlrALTm9BW— Marie-Pierre Rixain (@RixainMP) 18. Mai 2018
Marie-Pierre Rixain möchte sich nun anderen Projekten widmen – zum Beispiel der ungleichen Bezahlung von Männern und Frauen. Oder dem Problem, dass es ältere Frauen auf dem Arbeitsmarkt schwerer haben. Die Ausschussvorsitzende betont, dass der Kampf gegen Sexismus nicht nur Frauen braucht – sondern auch die Unterstützung der Männer, und zwar aus allen Altersgruppen. Im Ausschuss sind jüngere und ältere Abgeordnete vertreten. Diese verschiedenen Erfahrungen möchte Marie-Pierre Rixain bündeln, denn sie weiß: „Sexismus ist keine Frage des Alters.“